Hier geht es doch ums Nähen- Was hat das mit Politik zu tun?


Morgen ist Wahl. Ich habe lange überlegt ob ich etwas dazu sagen sollte. Die nächste Aufforderung dazu schreiben soll, dieses Recht zu gebrauchten. Etwas für die Zukunft unseres Landes, unsere Zukunft und die unserer Kinder zu tun. Ich habe bis heute gezögert, weil ich Wert darauf lege, dass mein Blog seinem Thema treu ist, dass es hier ums Nähen geht, ums Selbermachen und um Hobby und Freizeit. Um Fluchten aus dem Alltag. Und genau deswegen muss ich diesen Beitrag schreiben.

Als ich meinen Blog begonnen habe, war ich schwanger. Vorher hatte ich schon viel genäht, aber in der Schwangerschaft habe ich begonnen das Nähen auch virtuell zu leben, über den Austausch in Facebookgruppen, die Nutzung von Ebooks und Youtube um Techniken zu erlernen und zu verbessern. Ohne das Internet hätte ich meine Nähmaschine wahrscheinlich aus dem Fenster geworfen als ich zum ersten Mal Jersey nähen wollte, und im Fachhandel die falsche Nadel bekommen habe. Ich habe das Bloggen damals für mich wiederentdeckt. Und zum ersten Mal aus einer unglaublichen Menge an Inspirationen, Schnittmustern, Stoffen und Zubehör wählen können,. Ein Angebot, das ich in Büchern, Zeitschriften und dem örtlichen Handel nicht geboten bekam. Und in Hannover kann man eigentlich nichtmal klagen wenn es um die Anzahl und Spezialisierung der Stoffläden geht. Ich habe eine große Freiheit entdeckt. Die für mich großen Anteil an meiner Freude an meinem Hobby hat.

Als ich diesen Blog gestartet habe, wäre es mir nicht im Traum eingefallen, mir Sorgen um das Aufwachsen meines Sohnes zu machen. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, das Menschen unterschiedlichster Herkunft in einem Land zusammen leben können. Unabhängig von Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung und davon ob sie eine Beeinträchtigung haben oder nicht. Mit dieser Selbstverständlichkeit habe ich nicht erwartet, dass mir knapp 3 Jahre später im Zug der Sitzplatz verweigert würde, weil mein Kind nicht deutsch genug aussieht.

Was hat die Wahl mit dem Nähen zu tun? 


Mein Hobby, so wie ich es kenne und mag und so wie ich es momentan Lebe, lebt davon, dass unsere Welt globalisiert ist. Meine Stickmaschine ist von einer englischen Firma, mein Plotter von einer amerikanischen, Ich nähe aus Stoffen, die in der Türkei, Tschechien oder Italien gefertigt werden, die manchmal aus Baumwolle aus Amerika oder Afrika bestehen, und manchmal mit Motiven bedruckt sind von Serien, die ich auf Netflix entdeckt habe, und inhaltlich viel geeigneter für den Zwerg finde, als das was der KiKa in Deutschland produziert. Ich habe eine belgische Schnittmuster-Zeitschrift im Abo, arbeite für Plotterdateien und Schnittmuster mit Leuten aus verschiedenen Ländern zusammen, deren Dienstleistungen oder Meinungen und Erfahrungen ich sehr schätze. Ich würde mein Hobby uneingeschränkt als globalisiert bezeichnen.

Unsere Welt war schon einmal sehr globalisiert. Es gab eine Zeit, in der man sich Waren liefern lassen konnte. Mit einem Lieferservice, der DHL nicht unähnlich war. Das war ganz normal, Anfang der 20. Jahrhunderts, nach etwa 30 Jahren der Globalisierung. Als Krieg nur noch ein Thema in den Zeitungen war und nicht vor der eigenen Haustür. Ups, warum war Globalisierung denn dann in unserer Jugend so ein Thema und warum ist es das noch immer? Wo wir doch alle weit unter 100 Jahre alt sind?
So richtig los ging es mit der Globalisierung nach dem zweiten Weltkrieg erst wieder, als der eiserne Vorhang gefallen war.... Vor etwas weniger als 30 Jahren...

Ich muss gestehen, ich genieße es sehr, dass ich meine Materialien bei meinen Lieblingsstoffhändlern kaufen kann. Und dann kommt unser netter DHL-Bote (Der ist wirklich nett und hat immer ein Lächeln über, auch wenn er mir den Stoff in den 3. Stock tragen musste!), bringt mir ein tolles Paket und ich kann mich an meine Maschine setzen und mein Hobby genießen....
Ja, von mir aus kann das alles so bleiben! Unser Hobby hat aktuell tolle Rahmenbedingungen.

Rahmenbedingungen, die es nicht gäbe ohne Politik!

Rahmenbedingungen, die nicht möglich wären mit einer Politik, die die Rückschritte, weg von einer Gemeinschaft wie der EU zu einem Fokus auf souveräne Staaten machen will. Die damit meinen Stoffhändlern und den Herstellern meiner Maschinen das bequeme Besorgen von Material und Zubehör aus dem Ausland erschwert.
Was wäre wenn wir eine Politik hätten, die unseren Zugang zu Informationen und zum Internet einschränken würde? Wenn wir uns nichtmehr über Facebook vernetzen könnten oder jedem dort misstrauen müssten, weil wir nicht wissen ob uns das was wir sagen und schreiben zum Verhängnis wird? Wenn vielleicht das, was wir in der Vergangenheit geäußert haben plötzlich zu unserem Nachteil ausgelegt würde?

Wisst ihr was dann kam, nach der globalisierten Welt  Anfang des 20. Jahrhunderts? Dieser Zeit, als es schon einmal möglich war, ohne einen Pass zu reisen? Es kamen Unzufriedenheit über die Ungleichheit von Arm und Reich. Es kam ein Börsencrash, eine Wirtschaftskrise. Es kam eine Zeit in der Waren immer und immer teurer wurden und der Lohn nicht im gleichen Maße stieg.
Dann kam ein Ruck: Die USA versuchten sich gegen Einwanderer abzuschotten. Aus Angst vor europäischen Wirtschaftsmigranten und einem Übermaß an europäischer Kultur. In Europa nahm die Anzahl der Wähler, die für rechte Parteien stimmte dramatisch zu. Und damit die Beteiligung dieser in den Parmalenten der europäischen Staaten. Die Briten verließen den Goldstandard, einen wirtschaftlichen Zusammenschluss, der die Globalisierung mit ermöglicht hatte. Statt mit besonnener Politik gemeinsam die Probleme anzugehen und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, konzentrierte sich plötzlich jeder lieber nur auf sich. Die Mittelschicht radikalisierte sich, weil sie um ihren eigenen Wohlstand fürchtete.

Und dann kam jemand, in Deutschland,  der eine schnelle Lösung als Alternative im Angebot hatte.


Ich denke jeder musste im Geschichtsunterricht davon hören, was Deutschland unter Hitler bedeutet hat. Und wer das nicht hat, sollte den Kopf aus dem Sand ziehen und sich dringend informieren. Auch damals waren nicht alle Menschen Nazis und radikal. Auch damals gab es viele, die weggeguckt haben, weil es sie nicht interessiert hat und die niemals damit gerechnet hatten, was passieren würde. Einige von ihnen glauben ja noch immer daran, dass all dieses Grauen Hirngespinste wären, die man sich nur ausgedacht hat.

Es ist an der Zeit weniger passiv zu sein. Weniger naiv. Ihr möchtet nur nähen? Euch interessiert Politik nicht und sie hat sich aus eurem Hobby herauszuhalten? Dann wählt eine Partei, die den Status quo erhalten wird. Bei der keine radikalen Änderungen zu befürchten sind, und geht morgen von der Wahlurne direkt wieder an die Nähmaschine. Ihr seid nicht zufrieden mit dem was die Politik für euch tut? Dann wählt eine andere Partei, stärkt die Opposition. Ja, bei den kleinen Parteien weiß man nicht so gut woran man ist, da muss man sich damit auseinandersetzen was sie wollen. Wer einfach nur nähen will, hat dafür vielleicht keine Zeit. Für eines sollte sich aber auch jeder, der mit Politik nichts zu tun haben möchte Zeit nehmen. Für den Gedanken, was aus seinem eigenen Leben wird, und zwar nicht nur in den nächsten 4 Jahren, wenn er schnellen Alternativen aufsitzt und die Augen vor Lügen und langfristigen Auswirkungen verschließt.
Verschließt einfach nicht die Augen, und benutzt euren Verstand. Ihr habt dazu noch einen ganzen Tag Zeit – und beim Rattern der Nähmaschine kann man wunderbar denken!
Wählt auch für die, die es nicht dürfen, und die trotzdem unser Land voranbringen. Für die die sich nicht politisch wehren können, weil sie durch eine Beeinträchtigung nicht berechtigt sind zu wählen.
Wählt für die Kinder, die nichts dafür können, dass ihr vielleicht verunsichert seid, und die es verdient haben, dass wir besonnen mit unserer Zukunft umgehen. Die verdienen, dass es uns egal ist ob ihre Haut dunkler oder heller ist, und denen nicht damit geholfen wird, wenn wir das Sozialsystem für das wir so viel unseres Gehalts abgeben einreißen und privatisieren.
Wählt für die Alleinerziehenden, damit sie sich nicht aus wirtschaftlichen Gründen in Beziehungen stürzen oder in ihnen bleiben müssen, wenn es ihnen dort nicht gut geht! Auch von ihnen nähen viele! Auch sie gehören zu denen, die deine Schnittmuster designen, Anleitungen schreiben, Stoffe designen oder dir schon Tips gegeben haben.

Ja, ich halte es für blauäugig auf blau zu vertrauen. Ja, ich kenne mehr Argumente gegen die AFD als für sie. Aber letztlich ist das wichtigste: Geht überhaupt zur Wahl. Lasst nicht die Stimme verfallen, die eure Welt als die erhalten könnte die sie ist. Verbesserung wäre schön. Aber vergesst nicht, dass es durch euer Wegschauen und Füße hochlegen auch schlechter werden könnte, als ihr euch momentan vorstellen könnt.


Den monatlichen Überblick über die Verbindung von DIY und Politik findet ihr übrigens bei "Frau Jule"